Das Märchen vom Tangoschuh

"Rugediguh, ist das etwa Blut da im Tangoschuh?"

Es war einmal ein Prinz, für den seine königlichen Eltern zwecks Zuführung einer geeigneten Ehekandidatin einen rauschenden Ball ausrichten ließen. Aus dem ganzen Lande strömten die Bewerberinnen daher und - natürlich! - versuchten sie, den jungen Mann schwer zu beeindrucken: Herausgeputzt mit güldenem Tand schwebten sie durch den Saal, soweit es die geschnürten Mieder erlaubten. Die Luft im Saal war gestopft voll mit zuckersüßen Lächeleien Richtung Prinz. Der saß gelangweilt am Rande der Piste und hatte schon ganz trockene Augäpfel, weil er sich jegliches Blinzeln streng versagte.

Bis eine tanzende Maid in sein Blickfeld geriet, die in ihren allerliebsten Tanzschühchen sein Interesse weckte. Diese - und zwar nur diese! - wollte er haben! Die alte Turmuhr schlug schon Mitternacht, als er sich endlich durch die Massen von lüsternen Weibern in ihre Nähe vorgearbeitet hatte. Blöderweise sah er sie auf ihrem Rückzug nur noch von hinten, die Treppe hinabeilend. Dabei stolperte sie und verlor einen ihrer gläsernen Schuhe.

Er schaltete Suchanzeigen auf Facebook und Insta (sie war ja weit jünger als er), recherchierte sich einen Wolf, besuchte jede noch so kleine Milonga im Königreich seines Papas, wo er den Gästinnen den Tangoschuh seines Begehrs präsentierte. 

Alle diese Damen und Nichtdamen wollten so gerne das zarte Schühlein aus Glas anprobieren. Aber keine schaffte es, ihren Fuß hineinzuquetschen. Schmerzverzerrte Gesichter, Tränen der Enttäuschung und verhaltene Flüche bei Prinz und Weibesvolk.

Schließlich besuchte er auf Anraten seiner werten Mama die alte Tante Google. Er war ja so unglücklich, das nervte schon ein wenig. Die Königin wollte den prinzlichen Buben endlich  verheiratet wissen, um sich guten Gewissens zur lange geplanten Pensionsbelohnungskreuzfahrt verabschieden zu können.

Die wunderliche Tante Google spuckte tatsächlich eine Adresse aus - genau genommen den Adresszettel in ihren Tee - an der er seine Präprinzessin finden könne. Er fischte mit spitzen Fingern die Notiz aus der Tasse, strich sie auf dem Tischtuch glatt und war froh, dass die Tante mit wasserfestem Filzstift arbeitete. Dann sattelte er seinen Schimmel, die Adresse im kleinen Prinzenhirn memoriert, und ritt flugs ans Ziel.

Dort packte er die erstbeste, deren Fuß in den Schuh gestopft werden konnte, schnallte sie auf den Gepäckträger und ritt von dannen. Wären da nur nicht die Spielverderbertauben gewesen, die ihr Liedlein vom "Blut im Schuh" gesungen hatten. Blödes Volk, Viecher sollten nicht sprechen können! Die Wahrheit schon gar nicht! Dass sich die entsprechende Dame im Vorfeld einen Zeh abgehackt hatte, wollte er doch gar nicht wissen. Sie kam ihm vage bekannt vor: wahrscheinlich vom Ball auf Papas Schloss.

Aber da hilft nix. Er musste zurück: die Falsche retournieren, die Echte - die mit der korrekten Zehenzahl (5?) - finden, einpackeln und heiraten. Das ist so im Märchen. Auch ein Prinz muss sich ans Drehbuch halten. 

Das gesamte Anwesen wurde einer gründlichen Durchsuchung unterzogen und siehe da: Die lumpige Maid in der Küche war Glas-Schuh-kompatibel. Der Prinz ließ sie ein paar Schritte tanzen - links beschuht, rechts barfuß. Kein Zweifel! Keine bockige Widerrede! Kein Stolpern! Nur zuckersüße Anmut! Wie fein duften die gebratenen Täubchen!

Also Auslöse zahlen (gering, Portokasse), verschnüren, mitnehmen und und per Ehevertrag die Besitzansprüche festklopfen. Mama und Papa König werden sich freuen!

Tadaa! Alle glücklich?! Und wenn sie nicht gestorben sind... Du weißt schon.

*** ENDE (mit Schnörkel) ***

Und die Moral von der Geschicht'?

Ob es wirklich glücklich macht, sich einfach so von einem großkopfeten (so sagt man in Augschburg), hirnsimplen,  schuhfetischistischen Bürschlein abgreifen zu lassen, will ich hier nicht diskutieren. Mir stellt sich eher die Frage nach den Lehren, die in der Glasschuh-Schachtel stecken:

1. Warum quälen sich manche Frauen mit höllischen Schmerzen und tanzen  bestenfalls medioker in Schuhen, die ihr Tanzen einschränken?

Der Tangoschuh "por las mujeres" ist vor allem eins: hochhackig. Dadurch rutscht die Belastung in den vorderen Fußbereich. Das Quergewölbe plättet sich. Drum weichen die Mittelfußknochen an den Zehengrundgelenken auseinander wie ein Fächer - am liebsten zwischen Zeigezeh und dem Großen.

Die Sehne, die den großen Zeh nach oben ziehen soll, weiß sich nicht zu helfen. Was soll sie denn dagegen tun, dass der erste Mittelfußknochen, der zum großen Zeh gehört, jetzt nicht mehr direkt unter ihr läuft? Der verdrückt sich einfach in die einzig mögliche Richtung, fort von den anderen zur Fußinnenkante. Der Fußdaumen will kompensieren, neigt sich mit seinem Köpflein in die Gegenrichtung und kuschelt mit den anderen Zehenbrüdern. So einfach wird man als Sehne zur Bogensehne! Mittelfußknochen eins mit Großzehe bilden den Bogen. Pfeile abschießen ist nicht: Am Fuß heißt das (irgendwann) Hallux valgus und tut weh. Wirklich hübsch kommt der im Schuh bald drückende Groß-Knubbel auch nicht daher.

(siehe Artikel https://www.tangofish.de/blog/wir-basteln-einen-hallux-valgus/)

Den restlichen Zehenbrüdern bleibt eh nix anderes übrig als sich aneinander zu quetschen - ihr Bett in der Spitze des Schuhs ist ganz schön eng. Recken und strecken? Sich spreizen und guten Halt nach oben ins restliche Gestell vermitteln? Wie soll das gehen, wenn nur ein winziges bisschen Luft durch das Fensterlein an der Schuhspitze an die Toes peept?

2. Aber Tango tanzt "frau" doch in hohen Schuhen, oder? Das muss?! Wenn das nicht geht, dann musst du mit dem Tango aufhören?

Vor einiger Zeit hat mich eine Milongabesucherin angesprochen, wo man denn Tangoschuhe wie die meinen herbekäme? Vielleicht hat sie mein Getanze überzeugt? Genau solche bräuchte sie unbedingt auch! Wir blicken beide zu meinen Füßen: Jazzschuhe, schläppchenartig - flach, weich, höllebequem mit geteilter Sohle. Sie war enttäuscht und ungläubig, als ich meine Schuhe als artfremd geoutet hatte.

Die Dame war zum Zuschauen da. Nach einem Jahr Tango - selbstredend hochhackig - und proportional wachsendem Fußschmerz habe der Orthopäde ihr den Tango streng verboten.

Dabei tanze ich erst seit einigen Jahren flach und weich. Ich bin lange Zeit gar nicht auf die Idee gekommen, die Verbindung "hohe Schuhe und Tango" anzuzweifeln! Hab mich jahrelang gewundert, dass ich um's Verrecken Balance und Technik nicht weiter verbessern konnte. Bis ich mal einen ganzen Abend in Socken getanzt habe, die Tangohochhacken lagen vergessen daheim. Der Tanzdruck war halt stärker als das Bedürfnis nach dem "schöne, stolze Tanguera-Gefühl". Hat sich gelohnt, auch wenn die Socken nach dem Abend durch waren.

Einfach war das erstmal nicht, ich war gezwungen, die Schritte ganz sauber zu setzen. Und tauschte den fehlenden Absatz einfach mit einem vorgestellten: rauf auf die Ballen, in der Höhe anpassbar an die Größe des jeweiligen Tanzpartners.

Wieder brauchte ich einige Zeit bis zur Erkenntnis, dass das auch nicht unbedingt sein muss. Zwischendurch sanft runter auf den ganzen Fuß und die Pfoten entspannen darf schon sein. Aber ein gutes Training war die Hoch-Ballenzeit trotzdem.

3. Warum können manche Frauen so elegant-vortrefflich in Schuhen tanzen, die einem Foltergerät alle Ehre machen würden?

Zugegeben - High Heels zeichnen eine wunderschöne, elegante Beinlinie. Meistens im Sitzen oder Stehen. In einigen Fällen beim Gehen oder minimalistischer, geschlossen umarmender Stehtangomanier. Selten beim Tangotanzen. Das sind aber meistens die Tangueras, die auch in Gummistiefeln wunderschön tanzen könnten, wenn sie sollten oder wollten. Lieber ist ihnen allerdings oft, ihren Tango ein bissele zu dekorieren ;) Und ich schreibe hier von ganz normalen Frauen, die einfach gerne und schon lange tanzen. Nicht von Balletteusen, die auf der Bühne äußerst routiniert die Fuß-Blut-Schmerzen unter Lächelschminke verstecken.

Folgt der Betrachter einer sexy Beinlinie nach oben und trifft auf ein verkniffenes Gesicht, schränkt das den Erotikfaktor erheblich ein. Der Zauber entsteht durch entspannt-lässige Eleganz - katzenhaft halt. Und hast du schon mal eine Katze mit Absätzen gesehen?

Ich bin fest davon überzeugt, dass gut trainierte, geschmeidige Füße den klassischen Glitzi-Glänzi-Peeptoe zumindest zeitweise tolerieren und vor allem händeln bzw. füßeln können! Wenn dir die Füße nicht wehtun, wenn du gut klarkommst: rein in die Hülle des Begehrs und ab auf die Piste! (Dann brauchst du auch keinen Kurs "Gehen in hohen Schuhen".)

Falls nicht, wage ich zu fragen:

  • Warum in aller Welt tust du dir das an?
  • Wer tanzt Tango? Du oder deine Schuhe?
  • Willst du schön sein (Standbild) oder schön tanzen?
  • Willst du dir im Zweifelsfall wirklich einen prinzigen Schuhfetischisten an Land ziehen? 
  • Wenn schön tanzen "nur" in bequemen Schläppchen funktioniert, warum probierst du's nicht mal öffentlich?
  • Warum lässt du deinen Pfoten nicht einfach ein wenig Zeit, stärker und geschmeidiger zu werden, bevor du dich ans Meisterinnengerät wagst?

Herrschaft! Wir haben es doch auch geschafft, bequemere Vorrichtungen zur Linderung der Schwerkraftwirkung bezüglich unserer sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale einzuführen! Ein bügelfreier BH aus Microfaser ist halt mal bequemer als das Schnürkorsett!

Fazit:

In der Arbeitsbeschreibung Tangoschuh steht lediglich:

  • Fuß vor Dreck und Tritten schützen.
  • Weich sein: Dem Fuß Bewegungsfreiheit zum Tanzen ermöglich, den Zehen Platz zum Spreizen lassen
  • Schwitzfest und gut putzbar
  • Deko darf, aber muss nicht sein.

Mehr nicht.

Deine Füße möchten ein Leben lang halten. Sei nett zu ihnen. Neue kaufen ist nicht. Der Tangoschuh dagegen ist nur ein nettes Werkzeug. Ersetzbar.

Ob in Vergrößerungsklötzen wie Vio Tangoforge, in Highheels oder barfußähnlich (Link zu Facebook): Die Tango-Ausführende bist du!

Und da nicht mal wir komplett Tangoverrückten die ganze Zeit nur tanzend durch's Leben schweben, ist es außerordentlich lohnend, dem schnöden Alltagsschuhwerk einen eigenen Artikel zu widmen: https://www.tangofish.de/blog/die-richtigen-schuhe/

Viel Vergnügen! Mit lieben Grüß' an deine Füß'!

(Dieser Artikel erschien auch am 27.5.23 im Heilnetz: https://www.heilnetz.de/news/rugediguh.html)

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7 Kommentare

  • Was für ein großartiger Beitrag - geht direkt an meine Tango-Freudin :-). Und mich macht es neugierig, weil die blöden Schuhe bisher ein echter Hinderungsgrund waren...
  • Liebe Conny,

    vielen Dank für die Blumen :) Und vielleicht lockt dich die Neugier ja noch ein bissel weiter in Richtung Tango.

    Herzliche Grüße
    Manuela

  • Liebe Manuela,
    seit meine Frau auch ganz flache, weiche, anschmiegsame, bequeme (und dennoch sehr schöne) Schuhe trägt, geht es ihr besser und der Tanz ist noch harmonischer als früher.
  • Lieber Frank,
    das ist schön! Tanzen soll ja nicht weh tun ;)
    Für Männer gibt es übrigens auch sehr bequemes Tanzschuhwerk.
    Herzliche Grüße
    Manuela

  • Das werde ich weiterschicken an alle Tango-tanzenden. DANKE
  • Lieber Frank,
    dankeschön!
    VLG Manuela
    P.S. Hast du auch Probleme mit hohen Schuhen? ;)

  • Merci bien! Das freut mich :)
    Herzliche Grüße
    Manuela

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© 2022 Manuela Bößel * tangofish