Reiki #2: Hintergrund-Recherche und Faktencheck

Reiki #2: Hintergrund-Recherche und Faktencheck

Manuela Bößel
von Manuela Bößel
13.07.2025


Mein alter Freund Pablo kennt mich zu gut. Selbstverständlich rechnet er mit ausgeprägtem Fremdeln bei Präsentation fragwürdig-esoterischer Inhalte. Er hat mir bei seinem letzten Besuch nicht alles, was er über Reiki weiß, erzählt. (Lies hier, wie es begann: https://www.tangofish.de/blog/pablo-hat-reiki-entdeckt/)

Und ja: Da wäre ich schon am Anfang ausgestiegen!

Laut Tante Google und diverser anderer Quellen lebte der japanische Reiki-Erfinder Mikao Usui 1865 bis 1926. Sicher belegt werden kann eh nur wenig – wenn überhaupt, da vordigital. Und dazu noch in einer anderen Kultur mit fremder Sprache, Schrift und anderen Gepflogenheiten. Das hindert aber viele Webseiten-Schreiberlinge nicht daran, einfach mal irgendwas Unbelegtes zu behaupten. Oder das Unbelegte irgendwo abzuschreiben. Und diese (zugegeben hübschen) Geschichtlein werden zum Teil als Wahrheit weitergetragen von einem Ohr (oder Bildschirm) zum anderen. Wer einmal „Stille Post“ gespielt hat, weiß, was da entstehen kann.

Ich bin wirklich für gute Erzählungen zu haben

und nutze sie oft und gerne. Eine schöne Arbeitshypothese kann das Verständnis für ein Konzept fördern, man kann sich darin bewegen und mit ihr arbeiten. Doch bildet solch ein Modell niemals die Wirklichkeit 1:1 ab! 

Aber wenn mir versichert wird, das wäre die „absolut-wirkliche-Wirklichkeit-in-echt-wahr“, entwickelt sich in mir ein handfester Grant. Die reikische Arbeitshypothese hat unser lieber Usui vor über hundert Jahren für Japaner mit japanischen Kulturideen entwickelt – eben nicht für uns Mitteleuropäenden im Jahr 2025. 


Ist ein Evidenz-Rahmen dieser hochintuitiven Behandlungsmethode sogar abträglich? 

Die Reiki-Ideen sprechen über Bilder das Unbewusste und damit den Körper an. Aber die Unterscheidung zwischen Arbeitshypothese und Realität brauch ich schon.

Ob und was da „fließt“ – was letztendlich wirkt (oder auch nicht?) kann keiner wissen. Was man beobachten kann, sind meist positive, aber höchst subjektive Empfindungen der Reiki-Empfangenden, die sich (noch) einer objektiven „Messung“ entziehen. Das finde ich in Ordnung. Nicht alles was hilft, muss für mich wissenschaftlich fundiert daherkommen.

Ein Beispiel: Diese geheimnisvolle Reiki-Energie könne erst nach einer sogenannten Reiki-Einweihung wirksam weitergegeben werden – also dem rituellen Öffnen der Energiekanäle in den Handflächen durch einen Reiki-Meister. Es gibt vier Level, die jeweils dem Reifegrad entsprechende Fähigkeiten vom Meister erhalten – alles in einem streng protokollierten Rahmen mit Vorschriften, Lehrplänen und vor allem Verboten.

Wer hat hier was erfunden?

Das standardisierte Einweihungsvorgehen wurde wohl nicht von Usui himself festgeklopft, sondern wahrscheinlich erst später von einer Schülerlinie. Könnte also durchaus sein, dass es dem Reiki-Erfinder eben nicht um Implementierung eines exklusiven Expertenclubs ging.

Die Usui-System-Anhänger sind trotzdem wahnsinnig stolz auf ihre „Ahnenreihe“, die stammbaum-ähnlich die Reiki-Herkunft belegen sowie als Qualitätsnachweis dienen sollen. Diese Fraktion bezeichnet sich einzig-echt-und-traditionell, was allen anderen, zum Teil sehr viel liberaleren Strömungen ein höchst unseriöses Geschmäckle beschert. Aber dieses Vorgehen kenne ich ja aus dem Tango-Milieu.

Weiteres Geheimgedöns 

wird um die sogenannten Reiki-Symbole veranstaltet. Das seien magische Zeichen – japanische Schriftzeichen mit Bedeutungen wie zum Beispiel „Schutz“ oder „Kraft“ und ähnlichem, die nur und ausschließlich nach Einweihung im Geheimen weitergegeben werden dürften. 

Die Suchmaschinen sind da nicht so pingelig: Seitenweise finde ich unzählige Bilder, Poster, Bücher, sogar Tatoo-Vorlagen. Sehr dekorativ! Aber vielleicht ist Tante Google Reiki-Meisterin? Man weiß es nicht. Ich schätze die Gefahr der unlauteren Symbol-Nutzung ähnlich hoch ein wie zu Piazzolla Tango zu tanzen. Auch da fährt kein Blitz vom Himmel herab.

Und wozu?

Das zeigt deutlich, dass eine gute Geschichte – auch wenn selbige unbewiesen bleibt – als Gemeinschafts-Kleber äußerst wirksam ist, inklusive Abgrenzung gegen andere Gruppen. 

Liegt für manche Reiki-Schaffende der Reiz darin, Teil einer Gemeinschaft ganz besonderer Menschen zu sein? Außergewöhnliche, ja fast magische Fähigkeiten zu haben, die den Normalos verwehrt sind?

War das wirklich vom Gründer so gedacht?

Sehr interessant finde ich die folgende Textpassage, die angeblich aus dem Original Handbuch Usuis stammt, das er um 1925 für seine Studenten geschrieben hätte. (Quelle: https://reiki.axelebert.net/de/usui-handbuch.html)

Warum ich Reiki öffentlich unterrichte

von Mikao Usui, Begründer des Usui Reiki Ryoho

Von alters her geschieht es oft, dass eine bestimmte Methode nur den eigenen Nachkommen unterrichtet wird, um den Wohlstand innerhalb der Familie zu bewahren. In modernen Gesellschaften wie der unsrigen ist es aber geboten, das Glück von Existenz und Wohlstand zu teilen. Somit erlaube ich meiner Familie nicht, die Methode verborgen zu halten.

Mein Usui Reiki Ryoho ist einzigartig, und es gibt in der Welt nichts Vergleichbares. Ich möchte diese Methode für die Öffentlichkeit freigeben, damit jeder davon profitiere.

Möge sie allen Lebensfreude bringen. Mein Reiki Ryoho ist eine Originalmethode, die auf der intuitiven Kraft des Universums beruht. Durch diese Kraft wird der Körper gesund, dann werden Lebensfreude und Frieden im Geist gesteigert. Heutzutage brauchen wir Verbesserungen und Umstrukturierungen innerhalb und außerhalb unseres Lebens. Ich gebe meine Methode frei, um den Menschen mit körperlichen und geistigen Krankheiten zu helfen. (...)“


Ich lese das sofort ein zweites und drittes Mal. Hab ich das wirklich richtig verstanden?

  • Er verbietet seiner Familie, die Methode geheim zu halten?
  • Er gibt sie frei für die Öffentlichkeit? Damit jeder davon profitiere?

Wie passen diese beiden Aussagen zu den exklusiv-geheimen Kursinhalten, die Außenstehenden – also Nicht-Kursgebühr-Bezahlenden auf keinen Fall verraten werden dürfen? Und zu den teils horrenden Preisen für Kurs plus Einweihung?

Ob der obige Artikel wirklich von Herrn Usui selbst stammt? Sicher nachweisbar ist auch diese Geschichte nicht. Sie gefällt mir aber wesentlich besser als die einer erleuchteten Einweihungsfamilie.

Die Idee, Glück mit anderen Menschen zu teilen

finde ich einfach schön. Einfach und schön. Wenn es wirklich so sein sollte, wie Pablo schildert

Noch frage ich mich, ob es für wohltuendes Handauflegen wirklich so einen ausführlichen, theoretischen Überbau braucht – dazu aus einem fremden Kulturkreis? Ist es die Exotik, die sich gut verkauft? 

Und ja, ich spiele mit dem Gedanken, tatsächlich im Eigenexperiment zu testen, ob die Einweihungen etwas ändern am Handauflegen. Mal sehen. Ich werde berichten.

Auf jeden Fall ist mir die Reiki-Idee in diesem Licht viel sympathischer!

Ich schicke Pablo den Link zu obigem Text mit dem Kommentar "Sozialdemokratisches Handeln, spirituell erklärt!

Und einen teuflisch grinsenden Smiley.


Manuela Bößel
Manuela Bößel
schreibende Heilpraktikerin und Krankenschwester, herumkünstlernd seit Kindheit, vom Tango infiziert seit 1999. Herzensangelegenheit: mit schrägen Blickwinkeln, unorthodoxen Sichtweisen und Unfug Menschen anstiften zum Selberdenken, Selbertanzen und zur Lebenslust

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